Donald Trump as strategist – Interview with Marcia Pally

Interview mit Marcia Pally “Donald Trump ist ein scharfsinniger Stratege”

Christian Schlüter

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Marcia Pally beobachtet und kommentiert seit Jahren die US-amerikanische Politik, besonders die verschiedenen Strömungen des Konservatismus inner- und außerhalb der Republikanischen Partei. Darum ist sie eine hervorragende Gesprächspartnerin, wenn es um die Einschätzung des künftigen Präsidenten geht.

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Haben Sie erwartet, dass Trump gewinnt?

Ich war jedenfalls nicht überrascht. Denn ich bin mir der alten, tief in der amerikanischen Kultur verwurzelten Befindlichkeiten bewusst, die er angesprochen hat.

Welche sind das?

Es gibt eine Tradition, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, bis zu den allerersten englischen Kolonisten – und das ist die Tradition des Anti-Autoritarismus und Anti-Zentralismus. Viele der ersten Siedler gehörten ja religiösen Splittergruppen an und waren vor klerikaler oder politischer Verfolgung in Europa geflohen. Darum suchten sie nach einem Ort fernab staatlicher oder kirchlicher Kontrolle, wo sie die Bibel so auslegen durften, wie sie wollten – und wo sie sich als Gemeinschaft jenseits zentraler Autoritäten konstituieren konnten. Das steckt bis heute ebenso in der amerikanischen DNS wie das Erbe der harten Lebensbedingungen an der Frontier  – wo es schlicht keine Zentralregierung gab, auf deren Unterstützung man vertrauen konnte; darum sind Eigenverantwortung und die Konzentration aufs Lokale bis heute so wichtig.

Schon Ronald Reagan sagte: „Die Regierung ist nicht die Lösung unserer Probleme, sie ist das Problem.“

Genau, und das hatte er nicht erfunden. So ist die Reaktion immer, wenn es in den USA Probleme gibt. Dann heißt es: Wir müssen die Steuern senken, die Regierung verkleinern, das Geld und die Macht an das Volk zurückgeben und an die lokalen Autoritäten. Diese Haltung hat Trump sich zunutze gemacht, indem er in seinem Wahlkampf vor allem gegen das Establishment in Washington polemisierte.

Glauben Sie, das Bernie Sanders als demokratischer Kandidat bessere  Chancen gehabt hätte? Er verkörperte ja auch diese Anti-Establishment-Haltung, als Außenseiter seiner Partei.

Das ist ein sehr guter Punkt. Denn auch Obama gewann die Wahlen 2008 zu wesentlichen Teilen deswegen, weil er als Außenseiter wahrgenommen wurde. Dieser Aspekt überstrahlte sogar die rassistischen Vorbehalte gegen ihn – er gewann in denselben Staaten und in denselben Bevölkerungsgruppen, in denen diesmal die Stimmen an Trump gingen. In dieser Hinsicht hätte Bernie Sanders einen Vorteil gegenüber Hillary Clinton gehabt. Auf der anderen Seite bot er mit seinen ökonomischen Vorstellungen zu viel Angriffsfläche für die Großkonzerne und ihre Lobbyisten bei den Republikanern. Von denen wurde Sanders nicht nur als Sozialist angegangen, sondern als Kommunist. Was in den USA das Schlimmste ist, das man sich vorstellen kann.

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Drohen die Republikaner durch die feindliche Übernahme Donald Trumps zerrissen zu werden?

Ich glaube nicht. Um das zu verstehen, müssen wir uns die Partei etwas genauer ansehen. In der „New Right Coalition“ der Sechzigerjahre fanden drei wesentliche Gruppen zusammen: die konservativen Christen, die Populisten und die Rockefeller-Republikaner, die bessere Bedingungen für die Wirtschaft, insbesondere weniger Steuern verlangten. Zwischen diesen drei Strömungen war das verbindende Glied wiederum die Ideologie des „small government“.

Warum bröckelte diese Koalition?

Die konservativen Christen begannen, sich während der zweiten Amtszeit von George W. Bush abzuspalten, weil sein außenpolitisches Vorgehen etwa im Irakkrieg und die von ihm gutgeheißene Folter mit ihren moralischen Grundsätzen nicht vereinbar war; und auch der populistische Flügel und der Wirtschaftsflügel entfernten sich in dieser Zeit voneinander. Die letzteren beiden hat Trump nun wieder zueinander gebracht. Er hat die einfachen Leute davon überzeugt, dass er auf ihrer Seite steht, und zugleich ein Steuerprogramm aufgelegt, dass den Konzernen Milliarden und Abermilliarden von Dollars in die Kassen spülen wird. Für die Arbeiterklasse und die Mittelschicht wird dabei nicht viel herausspringen – aber das ist deren Angehörigen offensichtlich egal.

Also ist Trump für die Republikaner sogar eine integrative Figur?

Er ist ein scharfsinniger Stratege! Er weiß, dass er keine innerparteiliche Opposition fürchten muss, solange er die Populisten und Geschäftsleute im Gleichgewicht hält.

Aber ist das nicht selbstwidersprüchlich, wenn Trump einerseits die  geschäftlichen Interessen der Reichen bedienen und andererseits das Land abschotten will? Abschottung schadet der Wirtschaft.

Ganz genau, aber Sie wissen ja auch, dass Politiker im Wahlkampf etwas anderes sagen als sie in der Regierungsverantwortung tun. Trump hat im Wahlkampf alle Seiten bedient, dabei kam es ihm nicht auf Widerspruchsfreiheit an, denn er weiß, dass sich die meisten Menschen ohnehin nicht für Details interessieren.

Wie sähe denn ein verantwortliches Regierungshandeln aus?

Die populistische Rhetorik wird bleiben, zugleich wird Trump bei Einfuhrbeschränkungen, Strafzöllen oder Handelsabkommen realpolitische Konzessionen machen. Diese Arbeitsteilung von Rhetorik und Pragmatik fand sich auch bei Reagan: Zu Beginn seiner Amtszeit kürzte er die Steuern kräftig und ließ das alle Welt wissen, in seiner zweiten Amtszeit erhöhte er im Stillen die Steuern wieder. Reagan war ein erfolgreicher, zumindest wiedergewählter Präsident.

Was muss Trump in ökonomischer Hinsicht beachten?

Es gibt Tatsachen, an denen nicht einmal er vorbeikommt. Ein unter seinen Anhängern verbreitetes Vorurteil besagt, dass man nur wegen der vielen billigen Einwanderer arbeitslos geworden  sei. Die Wahrheit ist aber, dass Einwanderer Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen, also erheblich zu unserem Wohlergehen beitragen. Ein weiteres Beispiel: Das Versprechen, in der Stahl- und Kohleindustrie wieder neue, echt amerikanische Arbeitsplätze zu schaffen, ist nicht zu halten. Alles, was hier hergestellt werden könnte, wäre auf den internationalen Märkten zu teuer, also nicht konkurrenzfähig. Sie können in Pittsburgh vierzig Stahlwerke eröffnen, aber die Welt würde weiterhin in China einkaufen. Wir können China nicht unterbieten. Drittes Beispiel: Selbst wenn die Menschen Arbeit haben, reicht das Geld oft nicht für ein normales Leben. Ein Handelskrieg mit China wäre nun vollkommen unsinnig, weil von dorther die billigen Konsumgüter kommen – Autos, Elektronik, Klamotten – und sich die Ärmeren, mithin Trumps Klientel, ohne diese Importe noch weniger leisten könnten.

Was könnte Trump denn bewirken, wenn er nur eingeschränkte Möglichkeiten hat?

Nehmen wir noch einmal Reagan als Beispiel: So erfolgreich er darin war, die Widersprüche seiner Politik rhetorisch zu verwischen, so desaströs waren die wirtschaftlichen Folgen seiner Politik. Sie führte ja erst zum sozialen Abstieg der Arbeiter und des Mittelstands und schuf damit eine der Voraussetzungen für die Wut dieser Menschen, die sich Trump nun zunutze macht. Sollte er als Präsident an Reagan anschließen, wird es schiefgehen. Aber er könnte im Sinne seines Anti-Zentralismus lokale Initiativen stärken, Kommunen und Städte. Pittsburgh ist ein gutes Beispiel: Mit der Stahlindustrie ging es dort seit dem Zweiten Weltkrieg bergab, aber  mit einem regionalen Entwicklungsplan wurden jetzt 5100 Fabrik-Jobs durch 60000 neue Jobs in sozialen Einrichtungen und anderen Dienstleistungsbranchen ersetzt.

Aber die finanzielle Anstrengung wäre gewaltig, oder?

Man muss das wollen, ja. Aber es wäre ein Weg für Trump, die wirtschaftlichen Probleme seiner Wähler anzugehen und zugleich dem Glauben an „small government“ treuzubleiben. Denn die Zentralregierung in Washington würde nicht einfach Gelder in die Kommunen und Städte pumpen, verbunden mit einem genau definierten Plan, was damit zu tun sei, sondern den Bundesstaaten das Geld mit der einzigen Auflage überweisen, dass sie damit selbstbestimmt ihre Probleme lösen. Ich befürchte allerdings, dass die Rockefeller-Republikaner, vor allem Trumps Freunde aus dem Big Business, mit solchen guten und kleinen Lösungen nichts anfangen können. Außer glücklichen Menschen wäre hier ja keine weitere Rendite zu erwarten.

– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25087654 ©2016